Gero von Boehm begegnet… Christa Wolf

02.03.2009, 22.25, 3sat

Schreiben sei das Interessanteste am Leben, hat Christa Wolf für sich festgestellt. Weltweit wird sie als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart bewundert und ausgezeichnet. Sie selbst hat zu ihren Arbeiten ein ambivalentes Verhältnis, zweifelte und zweifelt immer wieder, ob nicht ihr Talent zu gering sei.
Christa Wolf wurde 1929 in Landsberg an der Warthe geboren. Nach der Vertreibung fand die Familie 1945 zuerst in Mecklenburg eine neue Heimat. In Jena und Leipzig studierte sie nach dem Abitur ab 1949 Germanistik. Noch während ihres Studiums heiratete sie mit 22 Jahren den Schriftsteller und späteren Verleger Gerhard Wolf, mit dem sie zwei Töchter hat. Seit 1962 arbeitet Christa Wolf als freiberufliche Schriftstellerin.
Mit dem Erscheinen ihres Romans „Nachdenken über Christa T.“, das in der DDR zuerst verboten und 1968 in einer Auflage von 800 Exemplaren erlaubt wurde, wurde Christa Wolf zur Institution. Ihr Landhaus in Meteln, westlich des Schweriner Sees, war ab Mitte der siebziger Jahre Treffpunkt zum regen Gedankenaustausch für Freunde und Kollegen. Hier schrieb sie ihre vielleicht bekannteste Erzählung „Kassandra“. Das Werk lässt sich auch als Auseinandersetzung Christa Wolfs mit ihrer Rolle in der DDR lesen.
Schon seit den fünfziger Jahren sieht Christa Wolf die Schriftsteller in der Rolle von Ärzten, die auf moralischer Ebene für die Volksgesundheit verantwortlich seien. Krankheit als literarisches Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Bücher. Von „Der geteilte Himmel“ (1963), in dem ihre Protagonistin eine Zeit der Rekonvaleszenz dazu nutzt, ihre Geschichte zu überdenken oder „Störfall“ (1987), dem Tschernobyl-Buch, in dem der Bruder der Erzählerin an einem Gehirntumor operiert wird, bis zur Erzählung „Im Stein“ (1995), in der sie ihre Eindrücke während einer Hüftoperation verarbeitet oder „Leibhaftig“ (2002), das eine psychische Krise beschreibt. Stets deutet Krankheit in ihren Büchern auf unbewältigte Konflikte hin.
Vierzig Jahre lang war Christa Wolf Mitglied der SED, von 1949 bis zum Sommer 1989. Als prominente Schriftstellerin war sie privilegiert und konnte gemeinsam mit ihrem Mann in den Westen und ins Ausland reisen, wo man ihre Bücher kannte und schätzte. 1974 war sie zum Mitglied der Akademie der Künste der DDR gewählt worden und an der Buchmesse nahm sie als offizielle DDR-Delegierte teil. Christa Wolf zählte 1976 zu den Initiatoren des Protestes gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann und wurde daraufhin aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen.
Nach dem Mauerfall wurde ihre Rolle innerhalb des Regimes politisch-moralisch heftig diskutiert. Aufgrund dieser Angriffe schrieb sie „Medea“ (1996), nach der antiken Figur. Ein Buch über eine Frau, die zu Unrecht beschuldigt, verkannt und ausgegrenzt und von der Männergesellschaft als Sündenbock benutzt wird.
Gero von Boehm besucht die Schriftstellerin anlässlich ihres bevorstehenden 80. Geburtstages in ihrer Wohnung in Berlin.