Von deutschem Wesen – Soll durch uns die Welt genesen?

interscience film im Auftrag des ZDF
30. November 2014, 23.50 Uhr, ZDF


Richard David Precht im Gespräch mit Jakob Augstein.

Dieses Jahr belegt Deutschland laut einer Studie zum ersten Mal Platz 1 als angesehenste Nation der Welt und verdrängt damit die USA. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft Europas, Export- und Fußballweltmeister. Immer deutlicher erhebt die Regierung Merkel den Anspruch einer Führungsrolle, wenn es etwa um die Eurorettung geht oder um den Ukraine-Konflikt. Deutschland, so hat es Bundespräsident Joachim Gauck wiederholt gefordert, soll wieder mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Doch was genau ist damit gemeint?

Ist es Deutschlands Aufgabe, 25 Jahre nach dem Mauerfall jetzt auch Exportweltmeister in demokratischen Werten und Tugenden zu werden? Soll etwa am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen?Darüber spricht Richard David Precht mit dem Publizisten Jakob Augstein, dem Verleger und Chefredakteur der Wochenzeitung Freitag, der auch durch seine streitbaren Kolumnen bei Spiegel Online für Diskussionsstoff sorgt.

Haben wir Deutschen tatsächlich das Recht – ja die Pflicht, die der Nazi-Vergangenheit geschuldete Zurückhaltung heute abzulegen und mehr Einfluss zu wagen? Wie weit reicht diese neue Verantwortung? Und sind wir dieser neuen Rolle in der Welt überhaupt gewachsen? Warum soll jene historische Demut, die in den letzten Jahrzehnten angemessen schien und uns letztendlich den Respekt unserer Nachbarn einbrachte, heute nicht mehr gelten?Jakob Augstein meint, wir sollten uns zunächst einmal um unsere eigenen reichlich vorhandenen Probleme kümmern und uns allenfalls im Rahmen der EU international einbringen. Wie willkommen wäre ein größerer deutscher Einfluss in der Welt überhaupt, wenn man bedenkt, wie schlecht es in der Geschichte immer ausgegangen ist, wenn Deutschland sich an seiner vermeintlichen Dominanz berauscht hat. Ist es nicht gerade ein Segen, dass wir Deutschen immer weniger „stolz“ auf unser Land sind als andere, dabei aber immer glücklicher in ihm leben?

Jakob Augstein, geboren 1967 in Hamburg, ist Journalist und Verleger. Augstein studierte von 1989 bis 1993 Politikwissenschaften an der FU Berlin und in Paris sowie Germanistik und Theaterwissenschaften. Anschließend arbeitete er sechs Jahre für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG in München und Berlin. Ab 2005 war er als Autor für die ZEIT tätig.

Heute schreibt er für SPIEGEL ONLINE die viel diskutierte Kolumne S.P.O.N. – Im Zweifel links. 2008 erwarb er die Wochenzeitung DER FREITAG, die er seit 2013 als Chefredakteur leitet. Zudem vertritt Jakob Augstein in der Gesellschafterversammlung des Spiegel-Verlages den 24prozentigen Anteil der Familie Augstein.

Als Buchautor machte Augstein mit zwei Titeln auf sich aufmerksam: In Die Tage des Gärtners: Vom Glück, im Freien zu sein (Hanser, 2013) reflektiert Augstein die Tätigkeit des Gärtnerns weniger in Form eines praktischen Ratgebers, sondern als philosophisch geführten Diskurs über Gärtnern und unser Verhältnis zur Natur. Im Wahljahr 2013 legte Augstein ein Buch vor, das die Wähler aufrütteln möchte: SABOTAGE: Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen (Hanser, 2013). Darin warnt er vor einem Finanzkapitalismus, der uns unserer demokratischen Werte beraubt. 2011 wurde Augstein für sein publizistisches Engagement mit dem Bert-Donnepp-Preis ausgezeichnet.

Augstein ist verheiratet und hat drei Kinder.