Gero von Boehm begegnet… Orhan Pamuk

06.10.2008, 22.25, 3sat

Die schwierigste und zugleich glücklichste Entscheidung in seinem Leben war jene, vom Maler zum Schriftsteller zu werden, sagt Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. Und auch als Romanautor arbeitet er ähnlich wie ein Maler, ist Papier- und Tintenfetischist. Er besitzt 12.000 Bücher und wenn er ein Buch in die Hand nimmt, riecht er erst einmal daran.
Schreiben ist ihm das Wichtigste auf der Welt, er muss sich dafür vollkommen isolieren. Früher konnte er nur an seinem Schreibtisch in Istanbul arbeiten, umgeben von bestimmten Gegenständen. Inzwischen schafft er es, überall produktiv zu sein.
Orhan Pamuk sieht sich nicht als türkischer Romanautor, sondern einfach als Romanautor und er bezeichnet das als Daseinsform.
Seine Werke, mittlerweile in 40 Sprachen übersetzt, sind in über 100 Ländern veröffentlicht. Sie reflektieren das Identitätsproblem der seit osmanischen Zeiten zwischen Orient und Okzident hin- und her gerissenen türkischen Gesellschaft.
Orhan Pamuk ist sich des Risikos bewusst, das in manchen seiner politischen Äußerungen liegt, aber er fühlt sich der Wahrheit verpflichtet, gerade gegenüber seinem Land. Um die Zensurmöglichkeiten zu unterlaufen, bevorzugt er Live-Auftritte im Fernsehen für seine öffentlichen Stellungnahmen. Die Fatwa gegen Salman Rushdie verurteilte er als erster Autor in der muslimischen Welt, er setzte sich für seinen türkischen Schriftstellerkollegen Kemal ein, als dieser 1995 in der Türkei unter Anklage gestellt wurde. An der Kurdenpolitik der türkischen Regierung übte er starke Kritik und den ihm angetragenen höchsten türkischen Kulturpreis hat er zurückgewiesen. Aufgrund von Äußerungen in einem Interview zu den dunklen Seiten der türkischen Geschichte erhielt er Morddrohungen und musste sich wegen „öffentlicher Herabsetzung des Türkentums“ vor Gericht verantworten. 2006 wurde das Verfahren jedoch eingestellt.
Orhan Pamuk, 1952 in Istanbul geboren, stammt aus einer großbürgerlichen, westlich orientierten Industriellenfamilie. In seiner ersten Publikation „Herr Cevdet und seine Söhne“ (1982) schildert er den Istanbuler Alltag und Familienverhältnisse, die den seinen ähneln. Den Durchbruch als Schriftsteller schaffte er mit dem Roman „Das schwarze Buch“ (1990). Seine Heimatstadt hat Pamuk bis auf einen dreijährigen USA-Aufenthalt Ende der 80er Jahre an der Columbia University in New York nicht für längere Zeit verlassen. 2003 erschien seine Liebeserklärung an die Stadt, der er sich verbunden fühlt, weil sie ihn zu dem gemacht hat, der er ist. In nur 14 Monaten hat er „Istanbul – Erinnerung an eine Stadt“ zu Papier gebracht, so schnell wie noch kein Buch zuvor.
In einem der schönsten Stadtpalais von Paris aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem eine reiche Bankiersfamilie aus Istanbul residierte, nachdem sie aus der Türkei ausgewandert war, dem heutigen Musée Nissim de Camondo, begegnet Gero von Boehm dem Literaturnobelpreisträger. Unter anderem dieses Museum inspirierte Orhan Pamuk zu seinem neuen Roman „Das Museum der Unschuld“. Weitere Themen des Gesprächs: Die dominante Mutter, der verschwenderische Vater, sein geplantes Museum der Unschuld in Istanbul.